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Das experimentelle Langzeitprojekt Ralfs Farben von Lukas Marxt ist eine filmische Annäherung an das Seelenleben und die Denkdynamiken des an Schizophrenie erkrankten Ralf Lüddemann, der zurückgezogen auf Lanzarote lebt. Im Rahmen der videonale.18 haben Lukas Marxt und Michael Petri den Film zum Anlass genommen, um die Möglichkeiten von Videoinstallation und -projektion auszureizen und die assoziative und verschachtelte Denkweise ihres Protagonisten bildlich in den Raum zu übertragen. Ralfs Farben_Hüllenwerk ist eine geloopte Mehrkanal-Installation, die aus gebauten sowie gefundenen Objekten besteht und sich ohne eine festgelegte Ansicht oder Ausrichtung präsentiert. Je nachdem, von welcher Seite aus man sich der Arbeit nähert, wird der Blick von schräg im Raum aufeinander stoßenden Wänden aus Ytong-Blöcken verstellt, die zugleich als Projektionsfläche und als Architektur dienen, und auf einem in Form eines Grundrisses ausgeschnittenen grauen Vinylboden platziert sind.

Die Installation wird ergänzt von einer gegenüber an der Wand stehenden aufgeklappten Vitrine,

die ebenfalls mit einer Projektion bespielt wird.

 

Aus der zentralen Wand, die von beiden Seiten des Raumes aus als Projektionsfläche genutzt wird, ist etwas über der Hälfte ein querrechteckiger Block ausgeschnitten, der ungefähr in einem 45-Grad-Winkel auf dem Boden gedreht ist und die Wand zu beiden Seiten hin aufbricht.

Auf der vorderen, zum Ausstellungsraum hin offenen Seite bleibt durch den Einschnitt ein schmaler Spalt am rechten Rand offen, und legt einen Durchblick auf den dahinterliegenden Raum frei. Über die gesamte Fläche der durchbrochenen Mauer zieht sich eine Projektion, die als Standbild auf eine steinige Bodenfläche und einen schlichten Flachbau – Ralfs Haus – wirft, dahinter erstreckt sich das Meer und ein wolkenloser blauer Himmel. Von links nach rechts weht ein rot-weißer Fallschirm durch das Bild und müht sich ab, einen an seinem Ende befestigten Steinblock über die Erde zu ziehen.

Ab und zu durchkreuzt ein schwarzer Hund das Bild. Der Schirm bewegt sich mal über die gesamte Wandfläche, dann wieder nur auf der verschobenen Wand – das flächige Bild der einkanaligen Projektion, einem Ausschnitt aus Ralfs Farben, wird dreidimensional.

 

Umschreitet man die Wand, betritt man nun das Innere des angedeuteten Raumes, eine durch die Verschiebung der vorderen Wand verschachtelte Architektur aus mehreren einzelnen Ebenen.

Hier wird nun der längste Teil der im Hüllenwerk verdichteten und neu zusammengeschnittenen Version von Ralfs Farben projiziert.

Der schmale, obere Teil der zerschnittenen Wand wird rechts und links eingerahmt von weiß gekachelten Flächen; der mittlere Teil entspricht dem Cinemascope-Format und wird als eine in sich abgeschlossene Projektionsfläche, als ein horizontal geteilter Splitscreen genutzt.

Der größere, untere Bereich, der aus zwei im rechten Winkel aneinandertreffenden Wänden besteht, fungiert als zweiter Teil des Splitscreen, als dritter kommen die gekachelten Flächen oben links und rechts hinzu. Stellenweise wird die ganze Wand zur Bildfläche, dann wieder läuft ein Teil des Filmes auf der schmalen Leinwandfläche oben weiter, während unten ein Standbild gezeigt wird, mal werden die Kacheln mitbespielt, mal zeigen sie eine eigens auf ihr Format zugeschnittene Projektion.

 

Im Film wechseln sich Landschaftbilder der kargen, wüstenartigen und menschenleeren Insel Lanzarote ab mit Aufnahmen architektonischer Strukturen, halbfertigen oder leerstehenden modernen Ruinen und rudimentären Behausungen. Immer wieder taucht der Protagonist in der Landschaft auf, eremitisch und allein manchmal in Begleitung eines Hundes oder im Dialog mit dem Filmemacher Marxt, Aufnahmen des Außenraums verschmelzen mit den aus dem Off zu hörenden Monologen Ralf Lüddemanns zu einem Porträt seiner Seelenlandschaft. Die in Schleifen verlaufende Zeitlichkeit, in der Ralf denkt, zwischen Pharaonenland, seiner Vergangenheit in Deutschland, einer Zukunft in neuen Planeten-welten, Halbphantasy und der Gegenwart auf Lanzarote, übertragen Lukas Marxt und Michael Petri durch die akribisch auf die Installation angepasste Neufassung des Filmes und die Überlagerung der Bilder und Erzählungen in der Videoskulptur. Inhalt und Projektion der Arbeit durchkreuzen und ergänzen sich, der Splitscreen ist wortwörtliche Form und erzählerisches Format zugleich.

Durch das Nebeneinander von verschiedenen Bildern, Textfragmenten und gesprochenen Sätzen stößt die Installation ein assoziatives Sehen an, das an die komplexe Denkweise Ralfs anknüpft und eine erweitere Wahrnehmung des Filmes ermöglicht. Ralf Lüddemann befindet sich in seinen Gedanken in verschiedenen Welten und Zeiten gleichzeitig. Die Videoskulptur greift dieses nonlineare Denken auf und durchbricht das Raum-Zeit-Kontinuum auf mehreren Ebenen. Ralfs „Innenleben“ wird auf den Raum der Architektur projiziert, man erhascht von außen einen Einblick in Ralfs Kopf und befindet sich für einen Moment mittendrin in seinem schwirrenden kaleidoskopischen Gedankenkosmos.

Ein wiederkehrendes Motiv im Film ist das Fenster – als Standbild, das von Ralfs Stimm-aufzeichnungen überspielt wird, als Durchblick von einem dunklen Innenraum in die Außenwelt, oder in einer Autoscheibe, durch die man mit der Kamera von der Rückbank aus nach draußen schaut. Das Fenster findet sich auch in den verschiedenen Durchblicken und Öffnungen in der räumlichen Installation wieder. Es kann als Symbol der Annäherung gelesen werden, als Versuch, den Blick durch eine Barriere in das innere Gedankenleben von Ralf Lüddemann zu werfen, und gleichzeitig als halbtransparenter Filter, durch den dieser die Welt betrachtet.

Auch das Motiv der Spiegelung setzen Marxt und Petri im Film an mehreren Stellen ein – besonders prägnant bei einer Autofahrt, bei der Ralf Lüddemann und Lukas Marxt von hinten gefilmt werden, wobei Ralf den Zuschauenden während der gesamten Fahrt durch den Rückspiegel direkt in die Augen sieht. In Ralfs Farben_ Hüllenwerk wird dem Spiegel als Projektionsfläche eine ganz neue Aufgabe zuteil: Im dritten Teil der räumlichen Installation fällt die Projektion von oben auf ein verspiegeltes Glas im Deckel der aufgeklappten Vitrine und von dort auf die Wand, aber gleichzeitig auch durch das Glas hindurch auf den Körper eines mumifizierten Hundes, der sowohl im Film auftaucht, aber auch „in echt“ Teil des Werkes ist. Über diesen Körper (und über den Spiegel auf die Wand darüber) laufen Abschriften von Ralfs Monologen wie Untertitel im Wechsel mit seinen im Computerprogramm MS Paint generierten Bilder, die er selbst Tagesschlüssel nennt. Diese digitalen Bilder dienen ihm als Sinngebung und Rechtfertigung für Ereignisse in der Vergangenheit oder Zukunft, zwischen denen er sich innerhalb der von ihm konstruierten Gedankenwelt hin und her bewegt. Hierin kombiniert er Textpassagen und Grafiken mit digitalen Skizzen und Fotos und einfachen Animationen.

 

Der Hund dient hier als Bindeglied zwischen Ralfs Lebensraum auf Lanzarote und dem Ausstellungsraum, aber auch als Medium der Projektion. Im Zusammenspiel mit den Aussagen Ralfs über die Pharaonenwelt und den „Schakal als Symbol“ wird er gleichzeitig zu einem Vehikel zwischen Ralfs Gedankenkosmos und der Realität.

 

Neben dem Hundekörper dienen weitere Objekte aus Ralfs unmittelbarer Umgebung als Mittler in den Ausstellungsraum. Neben dem leeren Wassercontainer, der wie vergessen vorne neben der Wand im Halbdunkel steht, und der im Film von Ralf an einem Stausee mit Wasser gefüllt wird, findet sich auch ein etwas verkratzter Flughelm auf einem Mauerabsatz zwischen den verschiedenen Projektionen. Im Film taucht der Helm an mehreren Stellen auf. Wie ein Heiligtum mit dramatischer Musik hinterlegt dreht er sich er an einer Stelle langsam auf der Bildmitte um die eigene Achse, während er an anderer Stelle von Ralf, dem ehemalige Fluglehrer, getragen wird, als dieser im Wind an einer rostigen Brüstung über einem Gewässer steht. Der Helm schützt den Kopf vor äußeren Einwirkungen, er schirmt Ralf von seiner Umwelt ab und hält die eigene Welt in sich geschlossen, und lässt dabei doch ein Fenster zur Durchsicht frei. So wie der Film selbst mit verschiedenen Materialebenen arbeitet – dokumentarische Aufnahmen, Stroboskop-Lichteffekte, Found Footage, Animation und Sprache verknüpft, so verhält es sich auch mit der Doppeldeutigkeit des Materials im Ausstellungsraum: Die Mauer ist Leinwand und Hauswand zugleich, Gebautes, Gefilmtes und Gefundenes ergänzen sich und bringen die Erzählung des Filmes immersiv in den Raum.

 

Lukas Marxt versucht seit neun Jahren, einen Zugang zu Ralfs Lebenswelt zu erhalten und sich in seinem Denken zurechtzufinden, seine Sprache zu entschlüsseln und seine Bilder zu deuten. Natürlich können die Zuschauenden dies nicht bei einer 40-minütigen Betrachtung aufholen, aber die experimentelle Form der Präsentation vermittelt eine Idee des stets in Bewegung befindlichen Gedankenkonstrukts und der Gleichzeitigkeiten in Ralf Lüddemans Kopf.

 

Leonie Pfennig

RALFS FARBEN Hüllenwerk

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